Schneiderlehre – Lehrjahre sind keine Herrenjahre oder vielleicht doch?
Vielleicht kennst du dieses Zitat und das muss nicht immer stimmen. Für mich war meine Schneiderlehre eine der kreativsten Zeiten in meiner beruflichen Karriere.
Meine Wünsche zum Thema Nähen und handwerklich einen Beruf zu erlernen wurden immer konkreter und mir gefiel der Gedanke, etwas zu lernen, was nicht jeder lernen wollte und auch nicht jeder lernen konnte. In meiner Jugend waren die die Top 3 Ausbildungsberufe für Mädchen: Arzthelferin, Bürokauffrau, Reiseverkehrskauffrau. Eine Schneiderlehre kam nicht in der Auswahl nicht vor und keiner konnte sich darunter wirklich viel vorstellen- auch ich nicht. Ich wollte einfach etwas machen, was mich auf der einen Seite forderte und auf der anderen Seite mit dem Erlernten glücklich machte. Ich wollte mich auf etwas Neues einlassen und den Zauber darin erkennen.
Mein großer Traum war ursprünglich, dass ich am liebsten Kostüme fürs Theater entwerfen wollte, weil ich so gerne Filme und Theater sah. Mein Ziel war es, relativ schnell Mode-Design oder Kostümbild zu studieren. Eine der Voraussetzungen dafür war eben eine Schneiderlehre, um natürlich sich auch mit den Basics der Anfertigung von Bekleidung auszukennen. Für das Mode-Design-Studium hätte ein Schneider-Praktikum ausgereicht, aber ich wurde leider an der Fachhochschule abgelehnt, sodass ich mich für die Schneiderlehre entschied.
Die Suche bzw. das Finden der passenden Ausbildungsstelle für eine Schneiderlehre gestaltete sich wirklich sehr schwierig, erstens weil es grundsätzlich – auch schon vor 20- 25 Jahren – nicht viele Betriebe gibt, die Lehrlinge anstellen möchten und zweitens, weil es grundsätzlich nicht mehr so viele Betriebe oder Firmen gibt, die Bekleidung in Deutschland herstellen.
Nach meinem Abitur im Frühjahr 1996 versuchte ich zunächst eine Lehrstelle in der Nähe zu bekommen, was mir nicht gelungen ist. Das heißt, ich habe zunächst eine Schneiderlehre in Wiesbaden begonnen, in einem berühmten Haute Couture-Atelier, weil ich dachte, wenn es berühmt ist, muss es auch gut sein. Aber ich bin mit der strengen, unpersönlichen Art und dem spröden Umgangston nicht zurecht gekommen und habe in der Probezeit die Lehrstelle gekündigt. Lehrjahre sind keine Herrenjahre – genau das habe ich dort erlebt. Es wurde einem nichts geschenkt – kein Lob, kein Lächeln, nichts.
Schneiderlehre oder Studium?
Ich stand vor der Wahl, bald eine Schneiderlehre zu finden oder zum Wintersemester mit dem Studiengang Film- und Theaterwissenschaften zu beginnen- ehrlich gesagt, was das das Einzige, was mich interessiert hat. In der Zwischenzeit habe ich gejobbt und fest daran geglaubt, dass sich die richtige Stelle schon auftun wird.
Wie das Leben so spielt, besuchte ich meinen damaligen Freund übers Wochenende in München, der bei einer Filmproduktion arbeitete, was ich schon super spannend fand. Ich war vorher noch nie in München und ich sehr neugierig auf die Stadt. Mich zog es immer in den Norden, unter München konnte ich mir so gar nichts vorstellen.
Als ich mich München im Zug näherte, wusste ich schon, dass ich mir bei meiner Ankunft die Süddeutsche Zeitung kaufen würde, denn es war Freitagabend und die Samstags-Ausgabe der Süddeutschen- Zeitung mit den neuesten Stellenanzeigen gibt es immer schon am Vorabend und da ich noch auf meinen Freund warten musste, beschloss ich mir damit die Zeit zu vertreiben. Es war Ende November, ungemütlich.
So dachte ich mir: „Hey, ich kaufe mir einfach die Süddeutsche und schaue mir die Stellenanzeigen an. Wenn eine Stelle für eine Schneiderlehre drin ist, bewerbe ich mich dort. Wenn ich genommen werde, dann ziehe ich nach München.“ Das war sonnenklar!
Und genauso passierte es. Ich kaufte die Süddeutsche, habe mich in ein altes Café im Hauptbahnhof gesetzt, habe mir einen Kaffee bestellt und jede Anzeige studiert bevor ich zu voreilig weiterblätterte, um bloß nichts zu übersehen. Da war sie, die Anzeige: Firma Leder Walter suchte zum schnellstmöglichen Zeitpunkt einen Lehrling. Ich war platt und musste erst noch alle anderen Anzeigen anschauen, aber stellte fest- das war die einzige Anzeige- es war meine Anzeige.
Es war mir sofort klar, dort muss ich mich melden, kein Zweifel, ich musste es herausfinden, und zwar so schnell wie möglich. Also rief ich am Montag dort an und ich war noch in München. Ich konnte sofort zum Vorstellungtermin kommen. Ich sprach kurz mit dem Chef und habe mich dann im Atelier vorgestellt, um zu zeigen, ob ich mit der Nähmaschine umgehen kann. Als ich mich verabschieden wollte, hatte ich bereits die Zusage – es war wie im Traum.
Dann ging alles ganz schnell, Lehrvertrag, neue Stadt, neues WG Zimmer – konnte das Zimmer meines damaligen Freundes beziehen – es war wie vorherbestimmt. Ich war superhappy, dass ich nun meinen Träumen näher komme und jeden Tag dazulernen werde. Ich war total neugierig wie ein kleines Kind.
Ich muss auch wirklich sagen, dass wir eine tolle Arbeitsatmosphäre hatten. Also wir waren ein überschaubares Team und fertigten die Proto-Typen für die eigenen Kollektionen im Haus an, auch die für die damaligen Fremdfirmen wie Escada, Laurel, Bogner etc.. Hauptsächlich verarbeiteten wir Leder für modische Kollektionen aber auch für Trachten. Tatsächlich war das damals das erste Mal, dass ich mit Trachten in Berührung kam und ich fand es wahnsinnig schön und war sehr beeindruckt und sehr berührt, dass Trachten in Bayern so präsent waren und auch geschützt wurden.
Wir als Lehrlinge spielten wirklich eine große Rolle und hatten auch schon wichtige Aufgaben, was mir wirklich sehr gefallen hat. Aber ich war sehr ungeduldig, ich wollte immer alles sofort können und alles beherrschen. Oft war mir nicht klar, dass man viele Arbeitsschritte auch erst richtig lernen, also mehrfach wiederholen muss, um gewisse Dinge auch selbständig ausführen zu können und auch schwierigere Arbeitsschritte selbständig bewältigen zu können.
Schneiderlehre – Aufbau eines handwerklichen Studiums
Eine Schneiderlehre ist grundsätzlich so aufgebaut, dass man mit einfachen Arbeitsinhalte beginnt und diese dann im Laufe der Monate komplizierter und aufwendiger werden. Viele der Arbeitsschritte sind auch sehr aufwendig und umständlich – aber gehörten nun mal zur handwerklichen Ausbildung dazu.
Der Lehrling lernt darüber hinaus auch die betriebsübliche Verarbeitung, die war in unserem Fall sehr rationell darauf ausgerichtet, dass die Bekleidungsstücke auch gut in Produktionsstätten im Ausland angefertigt werden können. Ich mochte beides, aber auch rationellen Verarbeitungstechniken ist.
Was ich über alles liebte, war das Anfertigen von Nähproben. Das war wirklich so unglaublich kreativ! Wir haben häufig einfach ein Bild von einer Idee bekommen und dann hatten wir freie Hand, uns eine geeignete Technik auszudenken, wir durften einfach loslegen und alles ausprobieren. Zeit und Material spielten keine Rolle. Das Ergebnis musste tadellos aussehen und musste in der Produktion einfach und schnell umsetzbar sein. Das war einfach top. Diese Aufgaben habe ich geliebt und sie waren heiß begehrt und waren natürlich neben den normalen Aufgaben die Highlights im Lehrling-Alltag.
Schneiderlehre weitere Aufgaben eines Lehrlings in der Ausbildung:
Grundsätzlich kann man diese in die theoretischen/ schulischen und praktischen/ betrieblichen Aufgaben unterteilen. Zur Theorie gehörten Schulfächer wie Fachrechnen, Stoffkunde, Maschinenkunde, Sozialkunde, Fachpraxis (ich hoffe, das waren sie alle :)). Zur Praxis gehören natürlich alle Arten von Verarbeitungen von Schlitzen, sämtlichen Taschen- und Kragen-Varianten, Verschluß-Techniken wie Reißverschlüsse, Knöpfe, Haken und Ösen, Saumverarbeitungen, Handnähen und vieles vieles mehr.
Da ich in einem Lederbetrieb gelernt habe, kam in meinem Fall noch dazu, dass ich all diese Verarbeitungen auch in Leder kennenlernen und üben durfte. Ich liebte die Lederverarbeitung, da wird sehr viel geschnitten verarbeitet, geklebt und gebügelt.
So gesehen gibt teilen sich die Aufgaben bzw. Lerninhalte in 2 große Hauptgruppen:
- Lerninhalte, die alle Schneider-Lehrlinge einheitlich erlernen müssen und
- Lerninhalte, die betriebsspezifisch sind, wie zum Beispiel in meinem Fall auf das Material Leder abgestimmt
Schneiderlehre in verschiedenen Branchen, zum Beispiel:
- in einer Bekleidungsfirma > die Bekleidung im Ausland anfertigen lässt
- in einem handwerklichen Betrieb wie in einer Maßschneiderei oder Brautmodenladen, wo handwerklich gefertigte Bekleidung auf Maß angefertigt wird oder
- in einem künstlerischen Betrieb wie dem Theater oder der Oper, wo Kostüme auch sehr handwerklich für Theater- Produktionen hergestellt werden und für Schauspieler auch auf Maß angefertigt werden
Am Ende der Lehrzeit sollte jeder Schneider-Geselle in der Lage sein, egal wo er gelernt hat, selbständig Blusen, Röcke, Hosen, Blazer, Jacken, Mäntel und Kleider zu nähen. Am Ende der Lehrzeit sollte der Lehrling bereits in der Lage sein, das Erlernte selbständig anwenden zu können, indem man Kleidungsstücke eigenständig zusammennäht.
Mein Tipp: Auch ich habe alle Verarbeitungen in der Lehrzeit so lange üben und lernen müssen bis sie saßen, also bis ich sie selbständig ausführen konnte oder aber in der Lage war, mir die Abfolge der Verarbeitung logisch abzuleiten. Das heißt auch ich habe mal gar nichts über das Nähen gewusst wie du. Der Unterschied ist, dass ich in diesem Beruf bereits so viel Erfahrung gesammelt habe, dass mir das Nähen oder das Schnitte konstruieren so vertraut ist, dass ich nicht mehr darüber nachdenken muss – so ähnlich wie das Autofahren.
Hier kannst du weiterlesen wie meine Gesellenjahre waren. Und hier findest du meine Beitrag wie alles mit dem Nähen anfing.
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